ANDINOSAURIA

"als trügen wir etwas in uns, dass einer anderen welt entsprungen ist"

Mittwoch, Mai 04, 2005

ANGELUS NOVUS





























Über den Begriff der Geschichte These IX


Angelus Novus
"... Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muß so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm..."

Walter Benjamin


Der Flaneur als Angelus Novus der Geschichte

"... Der Flaneur ist das Subjekt des modernen Zeitalters. Er ist jemand, "der keiner Heimat nachjagt, keine Karriere verfolgt, kein Ziel erreichen muß - das Paradies zum Beispiel - der nicht integriert werden kann, weder politisch - er ist heimatlos oder staatenlos- noch sozial." Er hat zu allen Dingen denselben emotionalen Abstand. Er ist ein Mann ohne Eigenschaften. Seine Erfahrungen sind nicht symbolisch, sie lassen sich nicht in eine identitätschaffende persönliche Geschichte einreihen, sondern sie sind allegorisch, isoliert und unzusammenhängend. Der Komos, in dem er lebt, ist angefüllt mit Arkaden, Mode, Langeweile, Katakomben, Kitsch, Souvernirs, Wachsfiguren, Gaslicht, Panoramen, Eisenkonstruktionen, Fotografie, Prostitution, Jugendstil, Kollektion, Glücksspiel, Straßen, Kaufhaus, Metros, Eisenbahnen, Straßenzeichen, Perspektive, Spiegel, Neuheit, Interieur, Wetter, Weltausstellungen, Torbögen, Architektur, Haschisch, Marx, Haussmann, Saint-Simon, Grandville, Wiertz, Redon, Sue, Baudelaire, Proust..."

"... Walter Benjamin war der Philosoph dieses Umbruches, er hat sowohl in der Art und Weise seines Schreibens die Veränderung der Schrift, wie auch in der Zuneigung zu der Hauptperson, dem Flaneur, die politischen Konsequenzen dieses Zeitalters reflektiert. Durch ihn und mit ihm verläßt die Philosophie entgültig das systematische Denken. Die referente Wirklichkeit läßt sich nicht mehr in einem System bündeln, weil der Ort der Rezeption und der der Referenz, das Interieur, verlorenging. Hieraus erklärt sich das Benjaminsche Prinizip der Montage. Der Flaneur montiert die Welt in ihren dialektischen Erscheinungen kurzzeitig zueinander und läßt sie in ihren paradoxalen Verhältnissen zueinander erscheinen ohne sie zu erklären. Der Ort der Erkenntnis bzw.Referenz ist nicht mehr das Subjekt sondern die paradoxalen Struktur der Dinge selbst an der sie über ihre Geschichte und ihre Natur zum Scheitern und damit zum Ende gebracht werden..."

http://www.michaelhofstetter.de/texte_und_schriften/arbeit_macht_frei.html